4.12.2023
Brief an die EU-Parlamentarier:innen
Betrifft:
VERORDNUNG DES PARLAMENTS UND DES RATES
über die Herstellung und Vermarktung von Pflanzenvermehrungsmaterial in der Union
SOS Seeds in Danger
Die Initiative Unverblümt und der Verein „Unverblümte Sortenfibel“ sprechen für Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, in ihren Gärten und auf ihren Bauernhöfen Kulturpflanzensorten zu erhalten und weiter zu entwickeln.Wir sind selbst als Erhalter und Erhalterinnen einer größeren Palette verschiedener Kulturpflanzensorten aktiv, wir sind Landwirte, Gärtnerinnen und Hausgärtner. Wir wenden uns also nicht für, sondern als unmittelbar und persönlich Betroffene an Sie.
Die EU-Kommission hat einen neuen Entwurf zu einer gemeinsamen Saat- und Pflanzgutregulierung vorgestellt.Dieser ist vortrefflich an die Wünsche und Bedürfnisse der landwirtschaftlichen Nahrungsmittelproduktion und der Saatgutindustrie angepasst. Und den speziellen Zielen einer ökologischen Landwirtschaft wurde darin besonderes Augenmerk geschenkt.
Doch etwas fehlt,auf das Wichtigste wurde vergessen!
- auf die Menschen, die sich mit dem Saatgut beschäftigen
- auf die Agro-Biodiversität
Also auf jene, die keine Lobby und keine wirtschaftlichen Interessen haben, aber von höchstem gesellschaftlichem Interesse sind.
Jeder Mensch hat das Recht auf Saatgut
Die natürlichste Sache der Welt, dass man ein Samenkorn in die Erde stecken und den Ertrag dieser Handarbeit auch weitergeben darf, muss jedem und jeder möglich sein, ohne dafür einen Anwalt zu brauchen. Dazu ist es notwendig, die Erhalterinnen der Biodiversität und ihre Sorten zu schützen, indem man sie in den Geltungsbereich der Verordnung aufnimmt und genau diese Rechte explizit garantiert.
Wir fordern daher, entsprechend der UNO-Resolution UNDROPdas Menschenrecht, Saat- und Pflanzgut zu erzeugen, zu lagern, anzubauen und sowohl unentgeltlich als auch entgeltlich weiterzugeben, gesetzlich zu verankern.
Wir fordern dies als festgeschriebenes Grundrecht! Und wir fordern, dass die Ausübung dieses Rechtes zu keiner Aufzeichnungs- oder Meldepflicht führt und auch nicht sonst wie behindert wird.
Ein wichtiges Ziel der Verordnung,dieFörderung der Agro-Biodiversität wird meilenweit verfehlt.
Mit Schlagworten wie „Vielfalt muss auf den Teller, nur so kann sie erhalten werden“ suggerieren uns sowohl die EU Kommission, als auch etablierte NGO´S, dass der Markt für die Erhaltung der Biodiversität sorge - jener Markt, dessen Akteure bisher für das Verschwinden der Vielfaltverantwortlich waren.
Der gesamte Verordnungsentwurf basiert auf der Annahme, dass erleichterter Marktzugang durch liberalisierte Zulassungskriterien für traditionelle Sorten und Neuzüchtungen der Schlüsselzur Erhaltung der genetischen Vielfalt sei. In Folge dessen sieht die EU Kommission auch kein Problemdarin, die bisher tolerierten Freiräume für Erhalter:innen Stück für Stück einzuengen und die Hüter:innen der letzten genetischen Ressourcen zu rechtlosen Ersatzteillieferanten für die Saatgutbranche zu degradieren.
Die Ausbeutung und Privatisierung genetischer Ressourcen nennt man Biopiraterie.
Das wäre durch die Verordnung legalisierter und organisierter Diebstahl.
Wir haben die EU-Kommission gefragt, auf Grund welcher wissenschaftlichen Erkenntnisse sie von der Annahme ausgeht, dass Marktöffnung und Erleichterungen für die Züchtungsbranche die Agrobiodiversität erhalten könnten. Diese Frage blieb unbeantwortet.
Es sind die Saatguterhalter:Innen, die die Agro-Biodiversität in ihren Gärten und auf ihren Feldern am Leben erhalten! Landwirte, Gärtnerinnen und Hausgärtner. Die Vielfalt wird garantiert durch die Vielzahl der Menschen, die sich damit beschäftigen, an unterschiedlichen ökologischen Standorten,mit unterschiedlichen Methoden, Zielen und Vorlieben. Nur so kann eine Anpassungsfähigkeit an die sich ändernden Klimabedingungen erreicht werden.
Eine AnpassungsFÄHIGKEIT, nicht eine Anpassung an momentane Erfordernisse.
Der vorliegende Verordnungsentwurf mit seinen Beschränkungen und Verwaltungserfordernissen würde zur Folge haben, dass viele Erhalter:innen ihre Tätigkeit einstellen – ein unwiederbringlicher Verlust für die Diversität.
Bitte helfen Sie mit, unterstützen Sie unsere Forderungen!
Sehr geehrte Abgeordnete zum Europäischen Parlament, wenn Sie die Biodiversitätsstrategie mit Leben füllen wollen, müssen Sie an die Schwächsten denken. Wir Saatguterzeuger:innen repräsentieren die „Fußgänger:innen“ in der Regelung des Saat- und Pflanzgutverkehrs.
Bitte lehnen Sie den vorliegenden Entwurf ab!
Er ist gefährlich für:
- Die Agro-Biodiversität
- Die Ernährung aller Menschen
Er steht für
- Verlust der genetischen Vielfalt
- Hunger in der Welt
- Neo-Kolonialismus in nachhaltigem Gewand.
Wir bitten Sie: Stimmen Sie diesmal mit NEIN, damit der Entwurf im Sinne des Menschenrechtes auf Saatgut und unversehrter Biodiversität nochmal überarbeitet wird.
Details zu unseren Forderungen finden Sie im beigefügten Amendment an den Berichterstatter des EU-Parlaments Herbert Dorfmann.
Mit bestem Gruß
Helmut Hohengartner
Barbara Hable
Florian Walter
Amendment der Initiative Unverblümt
16.11.2023
AKTUELL ::: AKTUELL ::: AKTUELL ::: AKTUELL
Die Arche Noah startet soeben ihre Petition zum EU-Saat- und Pflanzgutrecht. Unverblümt erreichen Mails mit der Frage, was wir davon halten.
Gedanken zur Petition der Arche Noah
Heute erhielten wir Post
– per Mail. Wir haben die Erlaubnis, den Schriftverkehr ohne Nennung des
Absenders zu veröffentlichen. Er spricht für sich.
Von: .........................................................
Gesendet: Donnerstag, 16. November 2023 08:23
An: Initiative Unverblümt <gemeinsam@archemitzukunft.net>
Betreff: Petition Arche Noah
Hallo Ihr Lieben!
Könnte ich bitte von Euch eine Meinung bekommen, ob es sinnvoll ist, bei der Petition der Arche
Noah zum Saatgut-Recht teilzunehmen - ist sie allgemein genug gehaltne, dass man im Sinn des
Fußgänger-Prinzips weiterbohren kann oder zementiert man damit eine Situation fest, die eine
unerquickliche Zwischenlösung ist, weil es dann heißt, was wollt ihr jetzt noch, man hat Euch ja ein
Zugeständnis gemacht?
Lg --------------
Am 16.11.23 um 09:28 schrieb Unverblümt
Liebe ,,,,,,,,,,,,,,,
ich antworte Dir vorab mal mit meiner persönlichen noch nicht abgestimmten Meinung.
Nach der morgigen Mitgliederversammlung der Arche Noah werden wir darüber bei „Unverblümt“
beraten.
Es zieht sich eigentlich wie ein roter Faden durch die Öffentlichkeitsarbeit des letzten Jahres bei
Arche Noah. In den Präambeln und Erläuterungstexten findet man fast alle Argumente vertreten,
die auch wir für wichtig halten. Doch wenn man dann die konkreten Forderungen liest, ist man
schwer enttäuscht. Denn die sind zahnlos, unkonkret und teilweise mit haarsträubenden Fehlern
gespickt.
Zu den Forderungen in der aktuellen Petition der Arche Noah:
1. "Die Erhaltung und die nachhaltige Nutzung der lokal angepassten
Kulturpflanzen-Vielfalt muss oberste Priorität haben!"
Klingt gut. Priorität gegenüber wem? Und wie soll diese Priorität ausgestaltet
sein? Außerdem genießt die Kulturpflanzen-Vielfalt ohnedies auch in der EU
Priorität. Allerdings werden die Menschen, die bisher diese Vielfalt erhalten
haben, in ihrer Arbeit behindert, während der Zugang für die Saatgut-Industrie geebnet wird.
2. "Völkerrecht sichern: Ernte, Weitergabe, Tausch und Verkauf von eigenem
Saatgut müssen für Bäuer:innen und Gärtner:innen legal möglich sein!"
Völkerrecht hat mit Saatgut nichts zu tun. Es geht um die Ausformung der
Menschenrechte und internationale Verträge.
Laut Verordnungsentwurf ist die Ernte, Weitergabe, Tausch und Verkauf von
eigenem Saatgut für Bäuer:innen und Gärtner:innen ohnedies vorgesehen
und auf keinen Fall illegal, allerdings mit kaum erfüllbaren Anforderungen
gespickt.
3. "Die Vermarktung von vielfältigen und lokal angepassten Sorten durch
regionale Saatgut-Erzeuger muss erleichtert werden!"
Wenn der Marktzugang undifferenziert für alle Marktteilnehmer erleichtert
wird, dann werden sich die stärkeren, größeren durchsetzen. Es braucht also
ganz im Gegenteil einen Schutz der schwächeren Marktteilnehmer vor
Ausverkauf, Biopiraterie etc. Sieh es an Deiner eigenen Arbeit: Wenn der
Marktzugang für alle erleichtert wird, werden sich die potenteren Anbieter ein
paar attraktive Rosinen rauspicken und damit den Markt fluten. Für Dich
bleibt dann die Züchtung und Erhaltung von ein paar Raritäten, nach denen
nur sehr geringe Nachfrage besteht.
4. "Stopp für die Pestizid- und Düngemittel-Abhängigkeit bei neu
zugelassenen Sorten!"
Plakativ, aber praxisfern. Wie soll das funktionieren?
Schlussendlich bleibt das Dilemma bestehen: Was tun? Arche Noah ist prominent
und hat es wahrscheinlich als einzige Organisation drauf, Druck von außen
aufzubauen. Und den wird es wahrscheinlich brauchen, um aus dem vorliegenden
Verordnungsentwurf noch die schlimmsten Passagen wegzubekommen.
Auf der anderen Seite fällt es unendlich schwer, obige „Forderungen“ zu
unterschreiben. Denn obige Formulierungen sind kein Einzelfall. Seit mehr als
einem Jahr finden wir immer die gleiche Struktur:
Großmundige Überschriften und
weichgespülte Forderungen, die allen Stakeholdern gleichermaßen
entgegenkommen sollen. Denn Arche Noah kuschelt mit den Saatgutfirmen, pusht
den großflächigen Bio-Anbau, ist selbst als Organisation kommerziell tätig und gibt
darüber hinaus vor, die selbstständigen Erhalter:innen zu vertreten. Das kann sich
einfach nicht ausgehen.
Von: .........................................................
Gesendet: Donnerstag, 16. November 2023 10:58
An: Unverblümt
Betreff: Re: Petition Arche Noah
Hallo! Danke Dir - ich dachte mir schon sowas, nachdem ich Eure letzte Mail gelesen habe.
Was ich fürchte ist, dass wenn etwas, das so schön klingt als "Erfolg" abgebucht wird, es
dann nach dem Motto: ihr habt doch einen Krümel gekriegt, warum wollt ihr jetzt was vom
ganzen Brot! weitergeht. Sehr sehr schwierig -
weil es tatsächlich eine kritische Masse braucht, damit sich überhaupt etwas bewegt . ........
Darüber lesen Sie in den nächsten Folgen:
- Wir haben kein Problem mit Saatgut-Produzent:innen
- Interessenvertretung für alle?
- Alle wollen Vielfalt – ist das schon Bio-Diversität?
- Das Fußgänger:innen-Prinzip
16.11.2023
Die EU-Kommission hat im Juli einen Vorschlag für die Neuregulierung des Saat- und Pflanzgutwesens in der Union vorgelegt. Eigentlich stimmt dieser Titel gar nicht, denn für eine Regelung des Saat- und Pflanzgutwesens fehlen wesentliche Teile im Verordnungsentwurf. Herausgekommen ist eine reine Marktregulierung.
Das darf uns nicht wundern, denn unermüdlich fordern auch Vereine und NGO's nach "freiem Marktzugang für die Vielfalt". Nun zeichnet sich ab: der Markt bekommt freien Zugang zu den Vielfaltssorten.
Freier Marktzugang – die Rettung der Bio-Diversität?
Den freien Marktzugang für „Vielfaltssorten“ forderte die Arche Noah und andere Stakeholder von der EU-Saatgutreglementierung, denn es ginge um die Rettung der Bio-Diversität. Was auf den ersten Blick recht einleuchtend erscheinen mag, nämlich ungehindert viele bunte Papiertütchen mit vielen bunten Vielfaltssorten kaufen zu können, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ….. Bitte machen Sie sich selbst ein Bild!
Der Markt sucht Vielfalt, doch er trägt nichts zu deren Erhaltung bei.
Eigentlich macht man mit der Forderung nach möglichst freien Marktzugang den Bock zum Gärtner. Wenn wir schon beklagen, dass über 90 % der Sorten unwiederbringlich verschwunden sind, dann müssen wir auch nachfragen, worauf das zurückzuführen ist. Lag das wirklich an der zu strengen Marktregulierung?
Der Markt verlangt nach Abwechslung, heute dies und morgen jenes. Er sucht nach der Vielfalt, um daraus ein paar schicke Rosinen auszuwählen. Und was heute gefragt ist, ist morgen schon wieder out. Na klar, der Markt streckt gierig seine Finger nach unserer Vielfalt aus, doch er trägt nichts zur deren Erhaltung bei. Er beutet sie nur aus, das muss uns klar sein. Die Initiative Unverblümt hat an die EU-Kommission die Frage gestellt, auf welchen wissenschaftlichen Belegen die Annahme fußt, dass der freie Marktzugang die Vielfalt fördere. Bis heute haben wir darauf keine Antwort bekommen.
Freier Marktzugang für Sorten, aber Ausschluss für die Menschen – so geht Bio-Piraterie
Wie das mit dem freien Marktzugang und der Bio-Piraterie funktioniert, haben wir in Folge (1) ausführlich beschrieben. Eine Dame entgegnete uns daraufhin, dass dies doch keine Biopiraterie sei, weil ja jede(r) die betreffende Sorte registrieren könne. Au weia! Nix verstanden, nicht genügend, setzen! Es geht ja nicht darum, dass ich mir mit Ellbogentaktik eilends mein Rechte sichere. Es geht darum, dass sich durch das Handeln eines einzelnen Unternehmens, das sich diese Vorrechte sichert, die Bedingungen für viele andere Erhalter:innen radikal verschlechtern.
Erhaltung der Vielfalt ist kein Markt, und braucht keine Marktregulierung.
Schon vor Jahren hat die Arche Noah dem Begriff „Erhaltung“ jenen der „nachhaltigen Nutzung“ hinzugefügt. Dahinter schwingt die Frage, für wen und bis wann die Erhaltung betrieben werden solle. Die Sorten sollen ja nicht in den Archiven verschwinden, sondern der permanenten Nutzung zugeführt werden, behauptet Arche Noah. Lohnt sich Erhaltung also nur noch dann, wenn eine profitable Nutzung dieser genetischen Ressourcen absehbar ist? An dieser Frage geschieht der gedankliche Kurzschluss, der aus einer nachhaltigen Nutzung eine kurzsichtige Ausbeutung, ein Verscherbeln des genetischen Erbes macht. Wenn Erhaltung zum Geschäft wird, dann hat sie sich selbst aufgegeben, denn dann wird nur mehr das erhalten, was sich lohnt, und alles andere verschwindet in der Versenkung. Wenn die vorgesehene EU-Verordnung den gesamten Bereich der Sortenerhaltung unter die Regeln einer Marktordnung stellt, dann folgt sie auch diesem Weg, Erhaltungsarbeit den destruktiven Kräften des Marktes auszusetzen. Da hilft auch kein „Sonderstatus“ mit ein paar Erleichterungen in dieser Verordnung.
Ein strategischer Fehler
Aus unserer Sicht ist es ein entscheidender strategischer Fehler, undifferenziert und plakativ „freien Marktzugang für Vielfaltssorten“ zu fordern. Das mag stimmig sein, wenn man Erhaltung und nachhaltige Nutzung in einem Atemzug nennt und auch denkt. Bei genauerem Hinschauen müsste man jedoch erkennen, dass beide Ziele getrennt zu behandeln und mit ihren je unterschiedlichen Ansprüchen berücksichtigt werden müssten. Sie dürfen nicht gegeneinander aufgewogen oder eines auf Kosten des anderen verkauft werden. Es darf nicht sein, dass auf Maßnahmen gegen Bio-Piraterie oder die vollinhaltliche Erfüllung der UNDROP-Verpflichtungen verzichtet wird, um auf der anderen Seite einen erleichterten Zugriff des Marktes auf Vielfaltssorten zu ermöglichen.
12.11.2023
Die EU-Kommission hat im Juli einen Vorschlag für die Neuregulierung des Saat- und Pflanzgutwesens in der Union vorgelegt. Leider wurden im Verordnungsentwurf ganz wesentliche Fragen schlichtweg vergessen.
Der Gesetzwerdungsprozess geht nun laut Expert:innen "in die heiße Phase". Trotz dieser Hektik sollten wir nicht darauf vergessen, weiterhin auf die noch offenen Fragen aufmerksam zu machen.
Mit ein paar kurzen Aufsätzen möchten wir Dir unseren Standpunkt näher bringen. Damit das Lesen nicht zu anstrengend wird, packen wir das in kleine Happen, die wir in unregelmäßigen Abständen in den nächsten Wochen versenden: Letzte Woche haben wir in diesem Zusammenhang über das Problem der "legalen Bio-Piraterie" berichtet. Diesmal wenden wir uns Grundsätzlichem zu:
„Verbindliche Rechte im Gesetz“ vs. „Vom Gesetz ausgenommen“
Ende September trafen sich Florian, Barbara und Helmut mit Vertretern der Arche Noah (Gerlinde Hochreiter und Martina Schwaiger aus dem Vorstand, Volker Plass und Bernd Kajtna aus der Geschäftsführung sowie Catherine Dolan und Magdalena Prieler aus der Fachabteilung Politik im Online-Format.
Das Gespräch verlief sehr geordnet und bot beiden Seiten die Möglichkeit, ihren Standpunkt zu erläutern. Volker Plass fasste abschließend zusammen, dass wir offensichtlich zu 99,5% einer Meinung sind. Nun, denn! Was ist mit den restlichen 0,5%?
Verbindliche Regelung oder Ausnahme – was ist besser?
Unverblümt steht auf dem Standpunkt, dass in der Verordnung das Grundrecht festgeschrieben sein muss, dass es jeder Person gestattet sein muss, Saat- und Pflanzgut in einer geringen Menge zu erzeugen und dieses entgeltlich oder unentgeltlich weiterzugeben. Dieser Gedanke entspricht der Formulierung im UNDROP. Wir haben ihn als „Fußgänger-Prinzip“ bereits im Mai 2022 erstmals präsentiert und in der Folge immer wieder zur Diskussion gestellt.
Arche Noah und viele andere NGO’s verbeißen sich hingegen in die Ausformulierung von Ausnahmeregelungen für bestimmte Personengruppen. Außenstehenden mag dies als Streit um „des Kaisers Bart“ erscheinen. Ist doch egal, ob Grundrecht oder gut ausformulierte Ausnahme, solange wir Erhalter:innen weiter werken dürfen, mag man sich denken.
Egal ist es aber nicht! Das erfuhren wir bei einem Gespräch mit Vertretern des Landwirtschaftsministeriums und der Bundesanstalt für Ernährungssicherheit zum Fall „Sweet Chocolate“. Wir argumentierten damals, dass durch die von einer Saatgutfirma beantragte Höherstufung der ehemaligen Erhaltungssorte ins Standardsortiment Erhalter:innen ihr gewohntes Recht auf Verbreitung dieser Sorte verlören. Da entgegnete uns der Experte der Bundesanstalt: „Falsch, Ihr verliert kein Recht, es wird lediglich Eure Freiheit eingeschränkt!“ So ist das also!
Mit einem Moment war uns klar, was der Unterschied zwischen einem festgeschriebenen Recht und einer Aussparung im Gesetz ist. Seither reden wir uns den Mund fuselig. Es will nur niemand wahrhaben.
Nun haben wir den Salat
Die EU-Kommission hat sich die Eingaben vieler Stakeholder zu Herzen genommen. Es sind Ausnahmen vorgesehen für die Erhaltung, für Erhaltungsnetzwerke, für Landwirte, für die Forschung etc. Leider sind die Ausnahmen sehr dürftig ausgestattet und darüber hinaus mit einer großen Bürde an Verpflichtungen verbunden. Dagegen laufen nun viele NGO Sturm. Doch es besteht noch ein weiteres Problem. Die verschiedenen Ausnahmen sind isoliert – jede Gruppe hat für sich einen Ausnahmebereich, doch die Ausnahmebereiche hängen nicht zusammen. Der Landwirt kommt nicht an das Material der Erhalter:innen und die Erhalter:innen dürfen nicht an Landwirte liefern etc. Ein ähnliches Problem betrifft die Erhalter-Netzwerke. Das von uns vorgeschlagene Grundrecht für alle würde die Isolierung der einzelnen Gruppen völlig auflösen.
Grundrechte fordern zieht sich über eine lange Zeit
In der Diskussion über Grundrecht oder Ausnahmeregelung hören wir noch ein zweites Argument, das uns nicht überzeugen kann. Man dürfe von der EU-Kommission nur fordern, was erfüllbar sei. Ein Grundrecht wäre unerfüllbar, weil sich dagegen die Saatgutlobby vehement wehren würde. So funktioniert Sozialdisziplinierung und Untertanen-Kultur, doch nicht mit uns! Grundrechte muss man immer wieder einfordern, auch wenn sie im Augenblick nicht erreichbar scheinen. Denken Sie an Frauenrechte, Minderheitenrechte, Abschaffung der Amtsverschwiegenheit etc. Es dauert lange und geht in kleinen Schritten. Steter Tropfen höhlt den Stein. In den UNO-Menschenrechten für die Menschen, die auf dem Land leben (UNDROP) ist das Recht auf Saatgut und dessen freie Verbreitung bereits festgeschrieben. Das ist ein Recht, das die UNO auch uns Erhalter:innen zugesprochen hat. Wenn uns dieses Recht beschnitten wird, dann ist es unsere Pflicht, laut aufzuschreien. Sonst wird uns niemand mehr ernst nehmen.
Darüber lesen Sie in den nächsten Folgen:
- Sorgt der Markt wirklich für Vielfalt?
- Wir haben kein Problem mit Saatgut-Produzent:innen
- Interessenvertretung für alle?
- Alle wollen Vielfalt – ist das schon Bio-Diversität?
3.11.2023
Seit Juli ist der Verordnungsentwurf der EU-Kommission bekannt.
Wir sind schon seit fast zwei Jahren mit dem Thema beschäftigt, haben aufgedeckt, interveniert, informiert und Lösungen angeboten. Oft genug hatten wir den Eindruck, gegen Wände zu sprechen, denn die verschiedenen NGOs der Saatgut-Szene scheinen vor lauter Beschäftigung mit Ausnahmen, Sonderregelungen und Klauseln das Wesentliche aus den Augen verloren zu haben. Das Problem ist nämlich, dass die für uns wichtigsten Themen im Verordnungsentwurf gar nicht enthalten sind. Man muss also über den Rand der Verordnung hinausblicken, und auch das einfordern, was vergessen wurde.
Mit ein paar kurzen Aufsätzen möchten wir Dir unseren Standpunkt näher bringen. Damit das Lesen nicht zu anstrengend wird, packen wir das in kleine Happen, die wir in unregelmäßigen Abständen in den nächsten Wochen versenden:
Bio-Piraterie
Es stand schon seit Jahren im Raum, dass die EU-Kommission einen neuen Vorschlag zur Regulierung des Saatgut- und Pflanzgutwesens vorbereite. Eine unserer Hauptforderungen wurde uns plötzlich klar, als wir 2021/22 zwei hochinteressante und kreative Fälle von Biopiraterie in Österreich aufdeckten.
Was hat es auf sich mit der Bio-Piraterie?
Bio-Piraterie funktioniert in Österreich ganz einfach: Man nehme eine altbekannte, bewährte und beliebte Sorte, die nicht (mehr) in der EU-Sortenliste aufscheint und melde sie zur Sortenzulassung im Normalsortiment an. Bereits mit erfolgter Anmeldung auf Sortenzulassung darf diese Sorte von keinem anderen Anbieter mehr in Verkehr gebracht werden. Damit hat man sich von Anfang an jede Konkurrenz vom Leib geschafft. Sollte die Sorte das Zulassungsverfahren nicht bestehen, hat man während des laufenden Verfahrens trotzdem alle anderen Anbieter kaltgestellt. Auch Erhalter:innen dürfen diese Sorte nicht mehr anbieten.
Die Zulassungsbehörde hat u. a. zu prüfen, ob die Sorte unterscheidbar, homogen und beständig ist und der beantragte Sortenname muss bestimmte Kriterien erfüllen. Homogen und beständig sind die meisten Sorten, das sollte für einen Züchter kein Problem darstellen. Das mit der Unterscheidbarkeit bedeutet, dass diese Sorte zumindest in einem Merkmal anders als jede andere zugelassene Sorte sein muss. Um hier keine unnötigen Fragen zu provozieren hilft es, eine kleine Notlüge zu gebrauchen und zu behaupten, dass man diese Sorte selbst gezüchtet oder zumindest züchterisch bearbeitet hat.
Der Kern dieser Geschichte ist nicht frei erfunden sondern hat sich tatsächlich so zugetragen mit der Gurkensorte
Shintokiwa.
Mehr lesen über die Gurke
Erhaltungssorten und Sorten für den Anbau unter besonderen Bedingungen (BB-Sorten)
Bereits im Jahr 2008 hat die EU mit der Richtlinie 2008/62/EG die Mitgliedsstaaten aufgefordert, für die Erhaltung schützenswerter alter Sorten entsprechende gesetzliche Regelungen zu schaffen. Österreich ist dieser Richtlinie gefolgt und hat die Sortenkategorien „Erhaltungssorte“ und „Sorte für den Anbau unter besonderen Bedingungen“ geschaffen. Uns Erhalter:innen ermöglicht die Regelung, dass wir diese Sorten in beschränktem Umfang weiter in Verkehr bringen dürfen – ohne Anmeldung oder sonstigen Verwaltungsaufwand. Um dieses Ärgernis zu umgehen, hat eine österreichische Firma den beliebten Paprika „Sweet Chocolate“, der bereits als Erhaltungssorte registriert war, kurzerhand zur Registrierung als Standardsorte angemeldet.
Auf unsere Intervention hin hat die zuständige Behörde diesen Fall noch einmal genauer unter die Lupe genommen. Bei einem Gespräch im Landwirtschaftsministerium haben uns die Experten versichert, dass eine bereits zugelassene Sorte nicht noch einmal zur Zulassung angemeldet werden kann. Der „Sweet Chocolate“ scheint gerettet. Unseren schriftlichen Einwand hat die Behörde allerdings zurückgewiesen, weil in dieser Angelegenheit nur die Behörde und die anmeldende Firma Parteienstellung haben.
Erhalter:innen, die sich seit Jahrzehnten um diese Sorte bemühten, haben im Verfahren keine Parteienstellung!
Wer tut etwas dagegen?
Bio-Piraterie gibt es also nicht nur am Amazonas und in Südost-Asien, sondern auch hier bei uns in Österreich. Und sie ist gesetzlich gedeckt. Dass man uns nicht falsch versteht: Wir haben nichts dagegen, dass Unternehmen Saatgut von erhaltungswürdigen Sorten auf den Markt bringen. Wenn sie bei der Gelegenheit ihren Kunden vorflunkern, sie hätten die Sorte selbst gezüchtet, sehen wir das nicht so gern, aber darum geht es im Kern gar nicht. Das eigentliche Problem ist, dass uns Erhalter:innen Sorten weggenommen werden, dass uns die Früchte unserer Arbeit geklaut werden und wir unsere Sorten nicht mehr in gewohnter Weise in Umlauf bringen dürfen. Dagegen müssen wir aufstehen! Das Gesetz muss geändert werden!
Es ist ja keine Lösung, die Verbreitung von Sorten zu verbieten. Damit tut man der Bio-Diversität keinen guten Dienst. Diese allerdings nur einzelnen Firmen zu überlassen, ist auch nicht hilfreich. Solange die Saat- und Pflanzgutgesetze dafür sorgen, dass sich einzelne Firmen Exklusivrechte sichern können, sogar für solche Sorten, die sie gar nicht selbst gezüchtet haben, solange funktioniert diese Bio-Piraterie.
Unseren Lösungsansatz nennen wir
Fußgänger:innen-Prinzip
Mehr zum Fußgänger:innenprinzip
1.7.2023
Einspruch für die Gurke Shintokiwa
Gebt uns unsere Gurke zurück!