Amaranth dreifarben © Helmut Hohengartner
Bislang war es das Bemühen vieler Pomologen, gegen das Verschwinden alter und seltener Obstsorten anzukämpfen und die fortschreitende Sorten-Verarmung einzubremsen. Landauf landab wurden alte Bäume aufgespürt, Sorten bestimmt, Edelreiser geschnitten und Jungbäume herangezogen. Im Mittelpunkt stand die Vielfalt an Sorten und deren Verbreitung.
Nun droht eine ganz andere Gefahr, denn...
… es solle in Zukunft anders werden, kündigt eine namhafte NGO per Spenden-Mailing an ihre Mitglieder an. „Jetzt setzen wir einen neuen Fokus durch neues Wissen: In den letzten zwei Jahren konnten wir mit dem Forschungs-Projekt „Obst Inventur Österreich“ enorm viel an Wissen sammeln und durch den genetischen Abgleich unserer Bäume mit denen anderer Obst Sammlungen genauer herausfinden, welche Sorten wirklich selten bis einzigartig und daher schützenswert sind. Ein Meilenstein in der Obstsammlungs-Strategie! …“
Einen Satz weiter wird es konkret: „Wussten Sie, dass die „Kanada-Renette“ unter 11 anderen Namen – darunter „Gold-Renette“, „Kaiser-Renette“, „Murer Reinette“ oder auch „Pariser Rambur“ – bekannt ist? Und es ist kein Einzelfall, ...“ 1)
Vorgeblich kann der genetische Abgleich mit Sicherheit feststellen, dass Kanada-Renette und Gold-Renette ident sind. Ob das tatsächlich so ist, haben wir einen Experten gefragt, Prof. Dr. Peter Englmaier, Unterstützer der Initiative Unverblümt seit der ersten Stunde an.
Unverblümt:
Ist es überhaupt möglich, unter Anwendung einer genetischen Analyse eine Obstsorte zweifelsfrei zu bestimmen?
Peter Englmaier:
Genetische Analysemethoden haben in letzter Zeit, seit es möglich war, die Abfolge (Sequenz) der Nucleotidbausteine in den die Erbinformation tragenden Nucleinsäuren kostengünstig zu bestimmen, enorme Fortschritte erzielen können. Für Identifizierungszwecke („barcoding“), Vergleiche und (vor allem in der Grundlagenforschung bedeutsame) phylogenetische Zusammenhänge (grob vereinfacht „Stammbäume“) werden üblicherweise nur kleine Abschnitte der Nucleinsäuren sequenziert, da alles andere zu aufwändig wäre. Das reicht jedenfalls für die Identifizierung und Unterscheidung von Pflanzenarten, etwa des
Europäischen Wildapfels (Malus sylvestris) vom Japanischen Wildapfel (Malus floribunda) oder vom Kulturapfel (Malus domestica). Doch je näher die Verwandtschaft zwischen den Untersuchungsobjekten, desto schwieriger und unsicherer wird die Unterscheidung.
Das von „Unverblümt“ hier genannte Projekt ist nicht die erste und einzige einschlägige Untersuchung an Apfelsorten. Derartige Projekte sind mir (etwa aus Baden-Württemberg) seit 2000 bekannt, auch das Bundesamt für Wein- und Obstbau in Klosterneuburg hat schon 2004 eine entsprechende Erhebung vorgestellt. Darauf aufbauend wurden 2022 aus 208 analysierten Bäumen 96 Sorten identifiziert. Herangezogen wurden dafür 28 Genorte.
Es lassen sich damit wohl Sortengruppen gut unterscheiden und züchterische Maßnahmen, wie eine (konventionelle) Einkreuzung von (schorfresistentem) Malus floribunda gut erkennen, ob sich aber jede einzelne (historische) Sorte zuverlässig von nächst verwandten abtrennen lässt muss bezweifelt werden. Das wird auch in der Präsentation 2022 ausdrücklich festgehalten. Zudem spielen ja weitere Faktoren, die in die Regulierung des Genoms eingreifen (epigenetische Faktoren im weitesten Sinn) eine wesentliche, schwer analysierbare und somit bislang wenig beachtete Rolle. Doch bestimmen diese Faktoren vielfach die Anpassung an bestimmte Standorte, die Blütezeit und die Dauer der Fruchtentwicklung, die Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit gegenüber veränderlichen Umwelteinflüssen (v.a. Hitze und Trockenheit gewinnen hier zunehmend an Bedeutung). Dies ist letztlich für den Nutzwert der betreffenden Sorten ausschlaggebend.
Unverblümt:
Den Praktiker interessieren aber diese Eigenschaften einer Obstsorte, wie Standortanpassung, Erntezeitpunkt, Krankheitsanfälligkeit etc. Sind derartige Eigenschaften überhaupt genetisch so einfach erkennbar? Und welche Funktion hat dabei die Epigenetik?
Peter Englmaier:
Um spezielle Eigenschaften überhaupt genetisch charakterisieren zu können, müsste man erstmal die beteiligten Gene identifizieren, sodann das Proteinprodukt (meist ein Enzym) charakterisieren und schließlich dessen Wirkungen im Organismus analysieren. Man arbeitet dabei oft mit Defektmutanten, was bedeutet, dass eine Mutation im Gen das Proteinprodukt so sehr beeinflusst, dass es seine Funktion verliert und so erkennbare Veränderungen hervorruft. Auch der umgekehrte Weg, von der Wirkung über die beteiligten Proteine bis zur Gensequenz ist möglich, experimentell aber wesentlich aufwändiger.
Gerade in der Apfelkultur gibt es dazu gute Fallbeispiele aus der Schadpilzresistenz, vor allem gegen Schorfbefall. Hinsichtlich Standortanpassung und Hitzeresistenz ist die Sachlage weit komplizierter, an der Hitze- und Trockenresistenz können an die hundert Gene beteiligt sein. Und diese sind zudem nicht ständig und unreguliert aktiv, sondern werden selektiv und spezifisch aktiviert und deaktiviert, wobei epigenetische Faktoren (Methylierung der Nucleotidbasen, aber auch micro-RNAs, letztere sind durch die heurige Nobelpreisverleihung einem größeren interessierten Publikum bekannt geworden) eine ganz wesentliche Rolle spielen.
Unverblümt:
Sind samenfest durchgezüchtete Gemüse- oder Getreidesorten in diesem Zusammenhang anders zu bewerten?
Peter Englmaier:
Natürlich. Bei Apfelsorten handelt es sich fast ausschließlich um Klone, die durch Veredelung vermehrt werden. Eine Sorte besteht dann aus wenigen, im Extremfall bloß einem Klon. Und das gilt sowohl bei den selten gewordenen „historischen“ Apfelsorten, die nur noch in wenigen Exemplaren erhalten sind, als auch bei „modernen“, sowohl durch konventionelle Züchtung als auch durch gentechnische Manipulationen erhaltenen Sorten, die oft von einem einzigen Exemplar über Veredelungen vieltausendfach für den Erwerbsobstbau reproduziert werden. Die genetische Variabilität ist dadurch stark eingeschränkt, im Extremfall überhaupt nicht mehr vorhanden. Hingegen hat sich bei alten Birnensorten gezeigt, dass deren genetische Basis deutlich breiter ist. Dies ist vermutlich durch den Erhalt einer größeren Zahl alter Exemplare einer Sorte bedingt, damit einer größeren Zahl von Spenderbäumen für Veredelungen und einer im Vergleich zu Äpfeln doch geringeren Zahl historischer Sorten.
Im Gegensatz dazu weisen konventionell gezüchtete, samenfeste Nutzpflanzen eine um Vielfaches höhere genetische Vielfalt auf. Daher ist ihre Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Umweltbedingungen ungleich höher.
Die meisten Gemüsepflanzen sind einjährig und werden durch laufende züchterische Tätigkeit (Auslese) an sich verändernde Bedingungen angepasst. Obstbäume haben hingegen eine Lebensdauer von Jahrzehnten, in denen eine züchterische Weiterentwicklung nicht möglich ist. Ein gut verwurzelter, gut bewässerter und nährstoffversorgter Baum hat aber auch eine gewisse Anpassungsfähigkeit an Langzeitveränderungen wie etwa eine im Verlauf des
Klimawandels zunehmende Sommerhitze. Bei veredelten Obstsorten kann zusätzlich die Wahl der Unterlage den Ertrag, die Wüchsigkeit und den Wasserbedarf in beschränktem Maß beeinflussen.
Unverblümt:
Hier wird uns also wieder einmal suggeriert, Gentechnik sei der ultimative Lösungsansatz für viele Fragestellungen. Werden die Möglichkeiten der Gentechnik im Allgemeinen, etwa durch den Einsatz der „Genschere“ überschätzt?
Peter Englmaier:
Die Möglichkeiten experimenteller Manipulation des Genoms sind letztlich sehr beschränkt. Wohl ist es gelungen, Resistenzgene gegen Pilzbefall (konkret Schorf) mittels fortschrittlicher Gentechnik zu übertragen, was durchaus bemerkenswerte Resultate geliefert hat. Jeder solcher Eingriff birgt auch Risiken, konkret die Platzierung des so eingebrachten Gens in das komplex regulierte Genom an einen Ort, in dem es mit anderen, ganz andersartigen Genen
„mitreguliert“, damit entweder über- oder unterexprimiert, bisweilen, obwohl durchaus vorhanden, gar nicht exprimiert wird. Und das kann der entscheidende Unterschied zur konventionellen Züchtung sein, bei dem der Genbestand mit seiner natürlichen Regulation erhalten bleibt. Das gilt prinzipiell, sowohl für transgene (das Zielgen stammt von einem ganz anderen, mit dem Kulturapfel gar nicht verwandten Organismus) als auch für cisgene Manipulation (das Zielgen stammt aus einer anderen Apfelart bzw. -sorte). Dadurch wird das Argument hinfällig, das cisgene Manipulationsprodukt könne absolut mit einer konventionellen Kreuzung übereinstimmen.
Überschätzt werden die Möglichkeiten solcher Eingriffe aber auch in anderer Hinsicht: Die bislang züchterisch genutzten Resistenzgene haben infolge der hohen Anpassungsfähigkeit des Schorferregers allesamt versagt oder sind daran, in aktuellen Kulturen sukzessive zu versagen.
Wenn Sie noch mehr darüber lesen wollen, empfehle ich diese beiden Artikel:
Wissenswertes zur Kanada-Renette unter
https://www.plantura.garden/obst/apfelsorten/kanadarenette)
Unverblümt:
Danke für die aufschlussreichen Antworten!
Wir wollen hier ausdrücklich betonen, dass nicht das Projekt „Obst Inventur Österreich“ an sich in Frage gestellt werden soll. Doch die oben zitierte unkritische Interpretation der Analyse-Ergebnisse und die angedeuteten Schlussfolgerungen daraus werfen eine Menge an Fragen auf:
Unsere Vielfalt an Obst gedeiht (noch immer) in den Gärten und den Obstwiesen in Österreich und anderswo in Europa und der ganzen Welt. Sie wird erhalten von einer Vielzahl an Menschen, die in ihren Ansprüchen, Vorlieben, Schnitt- und Pflegemethoden und den Zubereitungs- und Verarbeitungsrezepten der Früchte eine immense Vielfalt repräsentieren. Dem einzelnen Obstbaum ist es völlig egal, welcher Sorte er angehört. Dem Baumbesitzer ist es mitunter ebenso egal, ob die Sortenbezeichnung seines Baumes korrekt ist. Ihn interessiert vor allem, wieviel der Baum trägt und ob ihm die Früchte vom Aussehen, vom Geschmack und von der Lagerfähigkeit her zusagen. Wen interessiert es also wirklich?
Allen, denen die Erhaltung der Vielfalt am Herzen liegt, sollten sich daran freuen, dass es noch immer landauf landab Obstbäume gibt, solche mit richtiger Sortenbezeichnung, mitunter solche mit falscher und solche mit gar keiner. Denn es kommt letztlich auf die Menschen an, die sich an den Bäumen und deren Früchten erfreuen.
Archemitzukunft-Archemitzukunft-Archemitzukunft-Archemitzukunft-Archemitzukunft-Archemitzukunft-Archemitzukunft-Archemitzukunft-Archemitzukunft-Archemitzukunft-Archemitzukunft-Archemitzukunft-Archemitzukunft